42 namhafte Unterzeichner fordern Landesregierungen zum Stopp des Leistungsschutzrechts auf

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Am 1. März 2013 hat der Deutsche Bundestag mit den Stimmen der schwarz-gelben Koalition das Leistungsschutzrecht für Presseverleger verabschiedet. Das stark kritisiert Gesetz kann noch durch den Bundesrat bzw. den Vermittlungsausschuss gestoppt werden. In einem offenen Brief wenden sich 42 Unterzeichnerinnen und Unterzeichner an die Regierungschefs der 16 Bundesländer mit der Bitte, das Gesetz noch aufzuhalten.

lsrbriefEnde letzter Woche kam mir die Idee (sozusagen kurz vor knapp – die nächste Bundesratssitzung ist diese Woche Freitag), einen offenen Brief an alle  Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten wegen der anstehenden Bundesratssitzung zu senden. Die Bundesländer haben durch bestimmte verfahrenstechnische Kniffs (Diskontinuitätsprinzip) die Möglichkeit, das Leistungsschungsschutzrecht noch zu stoppen. Ich habe diese Idee mit Alvar Freude durchgesprochen, der davon sehr angetan war. Wir haben dann über das Wochenende (Tag und Nachtschicht!) einen längeren Brief erstellt und parallel überlegt, wen wir als Unterzeichnerinnen und Unterzeichner anfragen können. Ein Dank an dieser Stelle an alle Unterzeichnerinnen und Unterzeichner! Und ein Sorry, falls wir in der Kürze der Zeit jemanden vergessen haben sollten und ihn oder sie nicht angefragt haben (für das Sammeln der Unterzeichner/-innen stand praktisch nur der Montag zur Verfügung).

UPDATE (11:20 Uhr): Die Piratenpartei Deutschland unterstützt diesen Brief ebenfalls (via Bruno Kramm).

Der Brief ging gestern per Post und parallel per E-Mail an alle Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten:

Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

der Deutsche Bundestag verabschiedete am 1. März 2013 mit den Stimmen der Fraktionen CDU/CSU und FDP das sogenannte Leistungsschutzrecht für Presseverleger (siehe BT-Drs. 17/11470 und 17/12534, sowie BR-Drs. 162/13). Da es sich um ein Gesetz zur Änderung des Urheberrechts handelt, ist der Bundesrat nicht zustimmungspflichtig. Dennoch sind wir davon überzeugt, dass die Bundesländer gegen das Gesetz Einspruch einlegen und den Vermittlungsausschuss anrufen sollten. Wir möchten Sie bitten, sich dafür einzusetzen und ein entsprechendes Verfahren mit Ihren Länderkolleginnen und -kollegen anzustrengen.

Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger (kurz: LSR), vor allem in der von der Bundesregierung verabschiedeten Fassung, wird ansonsten für enorme Rechtsunsicherheiten sorgen. Dies ist wie folgt an dem Gesetzesvorhaben festzumachen:

  • Wenn diese Regelung Gesetzeskraft erlangt, müssen alle betroffenen Anbieter von Suchdiensten im entferntesten Sinne mit den Presseverlagen komplizierte und umfangreiche Lizenzverhandlungen führen. Dies kann dazu führen, dass große Anbieter durch ihre finanziellen und personellen Mittel kleinere vom Markt drängen werden. Sowohl für kleine Verlage als auch für kleine Anbieter von Internetdiensten ist die Aushandlung individueller Lizenzverträge nur schwer möglich. Dies verfestigt bestehende Markt- und Machtstrukturen im Suchmaschinenmarkt, ebenso stärkt es große Verlage gegenüber kleineren.
  • Es fehlt ein fairer Interessenausgleich, nicht zuletzt auch zur Sicherstellung der Informationsfreiheit im Internet. Dieser Gesetzentwurf leistet keinen solchen Interessenausgleich zwischen den Rechten der Verlage und der Gewährleistung der Informationsfreiheit. Suchmaschinen erfüllen eine gesellschaftlich erwünschte Rolle. Erst durch sie finden die Nutzerinnen und Nutzer gewünschte Informationen und Angebote. Dies ist auch im Eigeninteresse der Zeitungen, um den einfachen Zugang zu journalistischen Inhalten zu gewährleisten.
  • Alle Parteien im Deutschen Bundestag setzen sich dafür ein, Leistungen der Urheberinnen und Urheber gerecht zu entlohnen, um die Bedingungen für kreatives Schaffen zu erhalten. Das LSR leistet dazu keinen Beitrag: In einer Absichtserklärung ist zwar vorgesehen, dass die Urheberinnen und Urheber an den Einnahmen beteiligt werden sollen, doch haben Sie dafür keinerlei Absicherung. Die Beteiligung einer Verwertungsgesellschaft wurde bewusst gestrichen. Jede einzelne Urheberin bzw. jeder einzelne Urheber soll also mit jedem einzelnen Verlag über die Höhe ihres bzw. seines „angemessenen“ Anteils verhandeln. Die Urheberinnen und Urheber werden die schwächste Verhandlungsposition von allen haben.
  • Es ist nicht klar, wer von dem Leistungsschutzrecht betroffen ist, d. h. welche Nutzung konkret vom Schutzbereich des LSR erfasst wird. Der Gesetzesentwurf spricht von „Suchmaschinen“ und „Diensten, die Inhalte entsprechend aufbereiten“. Diese Dienste sind nicht hinreichend spezifiziert. Ebenso wenig ist geklärt, wer oder was überhaupt ein „Presseverlag“ ist. Dies sind nach Konzeption des Gesetzes mitnichten nur die großen bekannten Medienhäuser.
  • Obgleich der Gesetzesentwurf in der Begründung scheinbar „andere Nutzer, wie z. B. Blogger, Unternehmen der sonstigen gewerblichen Wirtschaft, Verbände, Rechtsanwaltskanzleien oder private bzw. ehrenamtliche Nutzer“ ausschließt, können aber genau auch diese jene Dienste anbieten, die gegen das Leistungsschutzrecht verstoßen. Im Internet kann prinzipiell jeder beliebige Dienste anbieten. So enthalten einige privat oder semiprofessionell betriebene Blogs tägliche Webschauen, die durch automatisierte Verfahren generiert werden.
  • Eine genaue Länge von gestatteten Textauszügen ist nicht definiert. So spricht der Gesetzesentwurf von „kleinsten Teilen“. Es ist unklar, ob bereits Überschriften oder etliche Sätze damit gemeint sind. Dies führt zu Rechtsunsicherheit, da erst in vielen jahrelang andauernden Rechtsstreitigkeiten festgestellt werden muss, was darunter zu verstehen ist.
  • Die Presseverlage können bereits jetzt entscheiden, ob sie von einer Suchmaschine gefunden werden wollen oder nicht. Technische Gegebenheiten dazu sind seit Jahren vorhanden und ermöglichen individuelle Einstellungen für jede einzelne (Unter-) Seite.
  • Der Gesetzentwurf wurde trotz massiver verfassungs- und europarechtlicher Bedenken vom Bundestag beschlossen.
  • Anhörungen im Bundestag haben eklatante Mängel am Gesetz festgestellt und die kurz vor der Abstimmung eingebrachten Änderungen haben die Rechtsunsicherheiten eher verschlimmert. Auch die wichtigsten Rechtswissenschaftler und Experten zum Urheberrecht in Deutschland, wie die Deutsche Vereinigung für gewerblichen Rechtschutz und Urheberrecht (GRUR) und das Max-Planck-Institut für Immaterialgüter und Wettbewerbsrecht, lehnen das LSR vehement ab und halten es für komplett untauglich.

Das Leistungsschutzrecht erzeugt insbesondere auch Rechtsunsicherheiten bei neuen Startup-Unternehmen mit entsprechenden Internetdiensten. Das Gesetz schwächt den Wirtschafts- und Innovationsstandort Deutschland. Es ist zu befürchten, dass die gerade erst wachsende Startup-Szene international von dieser internetfeindlichen Gesetzgebung abgeschreckt wird.

Es ist unbestritten, dass der Qualitätsjournalismus vor großen Herausforderungen steht; die wirklichen Probleme werden durch dieses LSR aber nicht gelöst. Insbesondere werden keine machbaren und effektiven Lösungen vorgeschlagen. Die Kollateralschäden bei der bisherigen Fassung wären unabsehbar.
Nahezu sämtliche Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, so auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), lehnen ein Leistungsschutzrecht ab, da eine Gefährdung der Innovationskraft im digitalen Wandel und eine systemfremde Privilegierung einer Online-Anbietergruppe mit unabsehbaren Folgen für Wettbewerb und Vielfalt im Internet befürchtet wird. Auch Journalisten lehnen das Gesetz ab, so z. B. der Deutsche Fachjournalisten Verband (DFJV), die Journalistengewerkschaft DJU (ver.di) und der Deutsche Journalistenverband (DJV).

In einem ungewöhnlichen lagerübergreifenden Bündnis haben sich alle maßgeblichen Jugendorganisationen der Parteien zusammen gegen ein LSR ausgesprochen. Die Netzpolitikerinnen und Netzpolitiker aller Parteien des Deutschen Bundestages – auch die der Regierungskoalition – lehnen das eingebrachte Leistungsschutzrecht für Presseverleger ebenso ab.

Wir appellieren daher an die Landesregierungen, den Gesetzentwurf für ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage im Bundesrat nicht passieren und damit vorerst nicht in Kraft treten zu lassen. Wir möchten Sie vielmehr dringend bitten, gemeinsam mit den anderen Bundesländern den Vermittlungsausschuss anzurufen und dieses Gesetz zu stoppen.

Mit freundlichen Grüßen

Henning Tillmann
Mitglied des Gesprächskreises „Netzpolitik und Digitale Gesellschaft“ beim SPD-Parteivorstand

Alvar C. H. Freude
Sachverständiges Mitglied der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft des Deutschen Bundestages

Jakob Augstein
Verleger des Freitag

Constanze Kurz
Sprecherin des Chaos Computer Clubs

Stefan Niggemeier
Journalist

Mario Sixtus
Journalist, Autor und TV-Produzent

Gerald Spindler
Professor, Direktor Institut Wirtschaftsrecht, Universität Göttingen

Prof. Dr. Justus Haucap
Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie (DICE), Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Prof. Dr. Jörg Müller-Lietzkow
Professor für Medienorganisation und Mediensysteme und Prodekan

Jeanette Hofmann
Politikwissenschaftlerin

Johnny Haeusler
Autor, Gründer von Spreeblick.com

Sascha Vogt
Juso Bundesvorsitzender

Jens Christoph Parker
Bundessprecher GRÜNE JUGEND

Sina Doughan
Bundessprecherin GRÜNE JUGEND

Doris Aschenbrenner
Netzpolitische Sprecherin der BayernSPD, Beraterin von Christian Ude für den Bereich Digitale Gesellschaftspolitik

Tobias Schwarz
Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Netzpolitik, Bündnis 90/Die Grünen Berlin

Hannes Griepentrog
Sprecher AK Netzpolitik CDU-Kreisverband Esslingen

Markus Beckedahl
Vorsitzender Digitale Gesellschaft e.V.

Lavinia Steiner
Vorstand Digitale Gesellschaft e.V.

Valentina Kerst
Co-Vorsitzende D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt e.V. und Leiterin des Forum Netzpolitik der KölnSPD

Nico Lumma
Co-Vorsitzender D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt

Mathias Richel
Gründungsmitglied D64 – Zentrum für Digitalen Fortschritt e.V.

Till Kreutzer
Rechtsanwalt, Initiator der Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht (IGEL)

Ulf Buermeyer
Richter am Landgericht Berlin, Digitale Gesellschaft e.V.

Dieter Frey
Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht

Thomas Stadler
Rechtsanwalt

Jan Mönikes
Rechtsanwalt

Jan Kuhlen
Rechtsanwalt

Philip Banse
Journalist, Podcaster und Gründer von Kuechenstud.io

Christoph Kappes
Medienunternehmer, Blogger

Jens Matheuszik
Blogger (pottblog.de und ruhrbarone-dortmund.de)

Pavel Richter
Vorstand Wikimedia Deutschland e.V

Wolfgang Michal
Herausgeber CARTA

Leonhard Dobusch
Juniorprofessor für Organisationstheorie an der FU Berlin und Blogger

Philipp Otto
Urheberrechtsexperte, Autor und Mitbegründer der Initiative gegen ein Leistungsschutzrecht – IGEL

Stefan Engeln
Justitiar 1&1 Internet AG

Michael Frenzel
Leiter PR eines Internetunternehmens aus dem Westerwald. Stellvertretendes Mitglied des Verwaltungsrates der Filmförderungsanstalt des Bundes (FFA).

Jonas Westphal
Digitale Gesellschaft e. V.

Andreas Maurer
Social-Media-Manager

Axel Wallrabenstein

Kaya Köklü
Wissenschaftlicher Referent am MPI für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht in München

Andrea Jonjic
Politikwissenschaftlerin, Redakteurin Netzpolitik.org

Der Brief kann hier als PDF heruntergeladen werden.