Wahlcomputereinsatz in Deutschland und das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Der Einsatz von Wahlcomputern wird in vielen Parteien häufig und immer wieder diskutiert. Doch das Bundesverfassungsgericht urteilte 2009 eigentlich relativ klar und eindeutig. Viele Vereine, Verbände und Parteien setzen aber auch bei internen Wahlen entsprechende Wahlgeräte ein. Wenn diese aber die Wahlgrundsätze der Bundesrepublik Deutschland beachten wollen, handeln sie jedoch gegen das klare Urteil des Verfassungsgerichts.
Ich habe hier eine Ausarbeitung online gestellt, die ich für das Seminar Computerisierte Wahlen und Wahlcomputer im Wintersemester 2009/2010 an der Humboldt-Universität zu Berlin erstellt habe.
1 Einleitung
In Deutschland hat jede Bundesbürgerin und jeder Bundesbürger ab 18 Jahren (ausgenommen sind Personen, denen das bürgerliche Ehrenrecht[1] aberkannt wurde) das Recht, das Europaparlament, den Bundestag und die Länderparlamente zu wählen und ebenso an Wahlen für politische Vertreterinnen und Vertreter auf kommunaler Ebene teilzunehmen. In manchen Bundesländern gilt für Kommunalwahlen sogar das 16. Lebensjahr als ausreichend. Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland regelt für die Bundestagswahlen, auf die in dieser Seminararbeit der Fokus gelegt wird, unter Artikel 38:
Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.
Die Grundsätze der Wahl müssen dabei strikt eingehalten werden:
- Die Wahl muss allgemein sein, d. h. wie bereits oben beschrieben, darf jede Bürgerin und jeder Bürger der Bundesrepublik Deutschland unabhängig von Einkommen, Beruf oder sonstigen Unterscheidungsmerkmalen an der Wahl teilnehmen.
- Die Wahl muss unmittelbar sein. Dadurch zählt die abgegebene Stimme direkt bei der Berechnung des Wahlergebnisses. Es existiert keine Zwischeninstanz (vgl. Wahlmänner in den Vereinigten Staaten von Amerika).
- Die Wahl ist frei, d. h. die Wählerin bzw. der Wähler darf nicht beeinflusst werden und darf die durch den Meinungsbildungsprozess gereifte Entscheidung, welche Partei oder Person sie oder er wählen möchte, unverfälscht zum Ausdruck bringen.
- Die Wahl ist gleich, da jede Stimme gleichwertig ist und den gleichen Wert besitzt. Es wird nicht zwischen den Wählern (resp. Wählerinnen) unterschieden.
- Die Wahl ist geheim, d. h. jede Bürgerin und jeder Bürger kann seine Wahlentscheidung abgeben, ohne dass anderen Menschen diese bekannt wird.
Die klassische Form der Ausübung des Wahlvorgangs ist die Nutzung von Stift und Papier. Durch das Ankreuzen von Parteien, Listen, o. ä. können die Wählerinnen und die Wähler ihre Meinung kundtun, ohne dass durch diesen Prozess gegen die Wahlgrundsätze verstoßen wird. Bei der Bundestagswahl stellt der Bundeswahlleiter (vgl. Deutscher Bundestag: „Wahlleiter“) sicher, dass die Grundsätze eingehalten werden; bei anderen Wahlen sind andere Personen mit der Sicherstellung der Anforderung beauftragt.
2 Wahlsysteme in Deutschland
Abhängig von der entsprechenden Wahl gibt es in Deutschland verschiedene Wahlsysteme. Bei der Bundestagswahl wird beispielsweise eine personalisierte Verhältniswahl verwendet. Unabhängig von der Schwierigkeit bei der Bestimmung der Sitzverteilung durch Überhangmandate ist die Ermittlung der abgegebenen Stimmen relativ einfach. So genügt es, die abgegebenen Erst- und Zweitstimmen zu addieren. Die Wahlzettel sind übersichtlich auf zwei Hälften aufgeteilT.
In Baden-Württemberg wird bei der Kommunalwahl jedoch ein anderes System eingesetzt. Es handelt sich hierbei um die Möglichkeit des Kumulierens (lat. cumulus: Haufen) und Panaschierens (frz. panacher: mischen). Dadurch hat die Wählerin bzw. der Wähler die Möglichkeit, mehrere Stimmen auf einen Kandidaten bzw. eine Kandidatin zu vereinen (kumulieren) und die verfügbaren Stimmen auf mehrere unterschiedliche Wahllisten zu verteilen. In Baden-Württemberg können pro Wahlvorgang n Stimmen abgegeben werden, wobei n von der Größe des Stadtrats abhängig ist (Beispiel Karlsruhe: n = 48). Es dürfen maximal drei Stimmen auf eine Kandidatin oder einen Kandidat vereinigt werden, und es existiert für jede Partei ein Stimmzettel, der jedoch durch Ausnutzung der Möglichkeit des Panaschierens ergänzt werden kann.
Die Ermittlung des Wahlergebnisses ist hier ungleich schwieriger, da nicht mehr nur ein Kreuz (= eine Stimme) möglich ist und eine vorgegebene Liste nicht abgeschlossen, sondern erweitert werden kann. So dauert es mitunter Monate bis endgültige Ergebnisse bei Kommunalwahlen in Baden-Württemberg feststehen[2].
Dies ist einer der Gründe, die die Nutzung von Wahlgeräten bzw. Wahlcomputern motivieren. Computer sind in der Lage, die abgegebenen Stimmen sofort zu berechnen und das endgültige Ergebnis quasi „sofort“ ausgeben zu können. In Deutschland ist es allerdings üblich, dass Meinungsforschungsinstitute vor den ersten Hochrechnung Prognosen veröffentlichen, die auf Umfragen an ausgewählten Wahllokalen basieren. Häufig sind diese Prognosen nicht weit von den ersten Hochrechnungen und auch Endergebnissen entfernt, wie folgende Tabelle[3] beispielhaft zeigt:
Bundestagswahl |
Prognose |
Hochrechnung |
Endergebnis |
CDU/CSU |
33,5% |
33,8% |
33,8% |
SPD |
22,5% |
23,0% |
23,0% |
FDP |
15,0% |
14,7% |
14,6% |
Die Linke |
12,5% |
12,5% |
11,9% |
B‘90/Grüne |
10,5% |
10,0% |
10,7% |
3 Gründe für Wahlcomputer
Befürworter[4] von Wahlcomputern erwähnen u. a. folgende Argumente, die den Einsatz der Geräte motivieren sollen:
- Auszählfehler können vermieden werden. Menschliche Fehler, seien sie versehentlicher oder absichtlicher Natur, sind bei dem klassischen Wahlverfahren nicht auszuschließen. Besonders bei komplizierten Wahlvorgängen mit Kumulieren und Panaschieren sind diese nicht unwahrscheinlich.
- Da der Personaleinsatz auf ein Mindestmaß zurückgeschraubt werden kann, sind Einsparungen im Personalbereich zu erwarten. Viele Wahlhelferinnen und Wahlhelfer wären nicht mehr nötig.
- Versehentlich ungültig ausgefüllte Stimmzettel sind durch den Einsatz von Wahlcomputern vermeidbar.
- Menschen mit Behinderungen und körperlichen Einschränkungen können unter Umständen leichter ihre Stimme abgeben, da zukünftig auch Stimmenabgabe über Spracherkennung oder andere Systeme möglich sein können.
Einschränkend ist allerdings zu erwähnen, dass bei der Weiterführung von Briefwahlen, also der Stimmabgabe vor dem eigentlichen Wahltermin, weiterhin eine menschliche Auswertung durchzuführen ist. Alternativ müsste hier auf Online-Wahlsysteme umgestellt werden, auf die hier allerdings nicht weiter eingegangen wird.
4 Historie der Wahlmaschinen
Der Einsatz von Wahlmaschinen (den Vorgängern von Wahlcomputern) wird schon seit den 1960er Jahren diskutiert. 1956 wurde das Bundeswahlgesetz durch eine Verordnung entsprechend angepasst, dass auch die Verwendung von Stimmenzählgeräten bei Wahlen zum Deutschen Bundestag im Jahr 1961 zugelassen wurde. 1975 wurde die „Verordnung über den Einsatz von Wahlgeräten bei Wahlen zum Deutschen Bundestag und der Abgeordneten des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland“ (Bundeswahlgeräteverordnung) erlassen, die 1999 aktualisiert und 2009 durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) für verfassungswidrig erklärt wurde. In den 1970er und 1980er Jahren wurden ausschließlich (elektro-)mechanische Zählwerke zugelassen. Die entsprechenden Geräte, die sich als äußerst teuer und unpraktisch erwiesen, erforderten einen Einwurf einer Münze oder Drücken eines Knopfes, der einen mechanischen Vorgang zur Folge hat. Im Bundeswahlgesetz war bis 1999 unter § 35 zu lesen:
Zur Erleichterung der Abgabe und Zählung der Stimmen können anstelle von Stimmzetteln, Wahlumschlägen und Wahlurnen Wahlgeräte mit selbständigen Zählwerken benutzt werden.
Die Ergänzung „mit selbständigen Zählwerken“ wurde 1999 durch einen Gesetzesentwurf von SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen[5] gestrichen.
Damit ein Wahlgerät zugelassen werden kann, sieht §2 der Bundeswahlgeräteverordnung folgendes Vorgehen vor:
- Der Antragsteller zahlt Prüfung des Wahlgeräts durch die Physikalisch-Technische-Bundesanstalt. Der Hersteller muss eine Baugleichheitserklärung abgeben, die besagt, dass jedes Gerät identisch mit dem Baumuster sein muss.
- Das Bundesministerium des Innern kann dann für die bestimmte Bauart eine Zulassung für die Verwendung bei Wahlen zum Bundestag oder nur für einzelne Wahlen erteilen.
- Spätere Änderungen sind nur dann möglich, wenn sichergestellt wird, dass die Arbeitsweise unverändert bleibt.
- Das Bundesinnenministerium kann jederzeit das Gerät erneut prüfen lassen, wenn Verdacht auf eine Änderung besteht.
In den Richtlinien für die „Bauart von Wahlgeräten“ (Anlage der Bundeswahlgeräteverordnung) wird gefordert, dass das Gerät bestimmten Anforderungen am technischen Aufbau und der Funktionsweise genügt. So soll u. a. sichergestellt werden, dass das Gerät richtig zählt, durch Störung gesichert ist und einfach zu bedienen ist.
5 Einsatz in Deutschland
Wahlcomputer der Firma NEDAP wurden bereits bei mehreren Wahlen auf verschiedenen Ebenen eingesetzt. Einige Beispiele, die vor allem vom Chaos Computer Club Berlin (CCCB) umfassend dokumentiert worden sind:
5.1 Kommunalwahl in Hessen 2006
Etwa 320 Geräte kamen bei der Wahl in Hessen zum Einsatz, dessen Verwendung durch das Hessische Ministerium für Inneres und Sport genehmigt wurde. Wie der Chaos Computer Club Berlin mit Verweis auf nicht mehr verfügbare Onlinequellen beschreibt, kam es in mehreren Wahllokalen zu Unregelmäßigkeiten. So ist in dem Wiki des CCCB zu lesen:
Dabei kam es in Eppertshausen, Niedernhausen und Weiterstadt zu Unregelmäßigkeiten, weil die Geräte ein anderes Ergebnis lieferten als die nachgelagerte zentrale Auswertung der Stimmmodule mit der Auswertesoftware IWS. Die Software IWS, die vom selben Hersteller stammt wie die Wahlgeräte, hat dabei offenbar Parteien mit nur wenigen Kandidaten zu viele Stimmen zugewiesen, wenn Wähler auf das in Hessen mögliche Kumulieren und Panaschieren verzichteten.
5.2 Oberbürgermeisterwahl in Cottbus 2006
Die brandenburgische Landesverfassung bzw. das Kommunalwahlgesetz ermöglichte 2006 den Einsatz von 74 Wahlgeräten der Firma NEDAP. Nur wenige Tage vor der Wahl wurde der sog. „NEDAP-Hack“ bekannt, bei dem demonstriert wurde, dass die Geräte innerhalb weniger Minuten manipuliert werden können. Die Stadt Cottbus ließ daraufhin die Speicherbausteine und die verwendete Software von der Physikalisch-Technischen-Bundesanstalt prüfen und die Geräte amtlich versiegeln.
5.3 Bundestagswahl 2005
Bei der Bundestagswahl 2005 kamen Geräte der Firma NEDAP zum Einsatz. In dem Wiki des CCCB ist zu lesen, dass „in der Presse [..] von 2 bis 2,5 Millionen betroffenen Wählern“ die Rede war.
6 NEDAP-Wahlcomputer
In Deutschland wurden ausschließlich die Wahlcomputer ESD1 und ESD2 der Firma NEDAP eingesetzt. Die Geräte der niederländischen Firma wurden erstmals bei der Europawahl 1999 eingesetzt und circa 15 Millionen Menschen haben seitdem darüber ihre Stimme abgegeben. 2007 kostete das 28kg schwere Gerät 4.750 Euro.[6] ESD1 und ESD2 umfassten als Zubehör
- eine Bedieneinheit für den Wahlvorstand,
- Speichermodul,
- Gerätestimmzettel,
- vier Geräteschlüssel,
- eine Kurzanleitung für die Wählerin und den Wähler und
- eine Bedienungsanleitung für den Wahlvorstand.
Der Speicherplatz des ESD1 ist relativ knapp bemessen:[7]
W = Mem / (S + A) – 7
Wobei W der Anzahl der Wählerinnen und Wähler, Mem der vorgegebenen Anzahl an Speicherplätzen (beim ESD1 waren dies 13.696), S der Zahl der Stimmen pro Wählerin und Wähler für alle Wahlen und A der Anzahl der programmierten Wahlen entsprechen. Für die Bundestagswahl können somit 4.558 Personen abstimmen, da S = 2 und A = 1.
7 Wahlprüfungsbeschwerde
Über zwei Millionen Menschen gaben bei der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag ihre Stimme per Wahlcomputer ab. Gegen diesen Vorgang wurde Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe erhoben, das 2009 urteilte.
7.1 Beanstandungen und Beschwerden
Die Beschwerdeführer beanstandeten die fehlende Öffentlichkeit durch die Nutzung von Wahlcomputern. So sei es für einen normalen Bürger bzw. eine normale Bürgerin nicht möglich, den Wahlvorgang zu kontrollieren. Beschwerdeführer Ulrich Wiesner äußerte sich dazu in einem Interview im Jahr 2008 über Wahlcomputer:[8]
Aus Sicht des Wählers und sogar der Wahlvorstände ist das eine „black box“. Bei einer geheimen Eingabe und geheimer Verarbeitung gibt es keine Möglichkeit, das Ergebnis zu überprüfen. Die Wahl ist der Urakt der Demokratie. Dabei beziehen gewählte Institutionen einen wesentlichen Teil ihrer Legitimation gerade aus der Transparenz der Wahl – und so etwas wirft man nicht ohne Not weg.
Die Intransparenz des Wahlvorganges sei u. a. dadurch verstärkt, dass die Software nicht quelloffen ist. Zwar zeigt das Gerät beim Start einen Hash-Wert an, der mit dem durch die Physikalisch-Technische-Bundesanstalt vorgegebenem Wert überprüft werden kann (die zuvor die Software überprüft hat), jedoch wird dieser Hash-Wert ebenso von der selben Software berechnet. Der Wahlvorstand ist nicht in der Lage zu prüfen, ob eine Änderung stattgefunden hat; dies ist nur durch den Hersteller möglich. Manipulationen bei der Software hätten enorme Auswirkungen, da anders als bei der Fälschung eines Stimmzettels direkt alle an dem Gerät getätigten Wahlvorgänge geändert werden können. Die Nicht-Öffentlichkeit der Software und damit der Schutz des Geschäftsgeheimnisses dürfe dem Beschwerdeführer zufolge nicht über den Interessen der Demokratie stehen.
Der Chaos Computer Club (CCC) verwies auf den sog. „NEDAP-Hack“, bei dem ein ähnliches Wahlgerät innerhalb kürzester Zeit manipuliert werden konnte. Entsprechende Speicherbausteine könnten mit „handelsüblichen Werkzeugen“[9] entnommen und manipuliert werden. Die verwendeten Programmiermethoden entsprächen laut Angaben des CCC den Stand der Technik von Anfang der 1990er Jahre.
Es wurde gefordert, dass die Wahlbezirke, in denen die NEDAP-Geräte eingesetzt wurden, die Wahl wiederholen sollten.
7.2 Gegenargumente des BMI
Das Bundesministerium des Innern (kurz: BMI) verteidigte den Einsatz der Wahlcomputer bei der Bundestagswahl 2005[10] und unterstrich, dass die Öffentlichkeit der Stimmabgabe beim Einsatz der Wahlgeräte gewährleistet sei. So ist das BMI der Ansicht, dass das Bundeswahlgesetz eine schnelle Ermittlung des Wahlergebnisses als wichtiger betrachte als die genaue Kontrolle durch die Öffentlichkeit. Ebenso weist das Bundesinnenministerium darauf hin, dass die Anzahl der abgegebenen Stimmen nachvollziehbar überprüft werden könne, indem die Anzeige des Geräts mit den Vermerken im Wählerverzeichnis verglichen werde. „Vor diesem Hintergrund“, so das BMI, „sei es hinnehmbar, dass beim Einsatz rechnergesteuerter Wahlgeräte nicht jeder Teilakt der Stimmenregistrierung für jedermann transparent sei“[11]. Als Begründung wird hierfür die fortschreitende Technisierung genannt, die nicht jeder direkt verstehen könne und auf dessen korrekte Funktionalität man nach entsprechender Prüfung durch unabhängige Institute vertrauen müsse. Hiermit wird außerdem noch die fehlende Quellcodeöffentlichkeit verteidigt, um die Betriebsgeheimnisse des Herstellers zu schützen.
Sollte ein Gerät, trotz Sicherheitsvorkehrungen, dennoch manipuliert werden, wären die Fälschungen nicht großflächig, sondern nur auf den Wahlbezirk beschränkt. Es fänden, so das BMI, außerdem „umfassende Kontrollen durch Gemeindebehörden und Wahlvorstände statt“, wie in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nachzulesen ist. Generell könnte allerdings jede (technische) Sicherheitsmaßnahme umgangen werden, auch klassische Urnen- und Briefwahlen seien nicht fälschungssicher.
Die Kritik, dass Unternehmen an elementaren Prozessen im Wahlvorgang mittelbar beteiligt sind, teilt das Bundesinnenministerium nicht. So seien auch zuvor beim Druck von Stimmzetteln oder bei dem Versand von Briefwahlunterlagen private Unternehmen beteiligt.
7.3 Urteil des Bundesverfassungsgerichts
Das Bundesverfassungsgericht verkündete folgende Leitsätze:
- 1. Der Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl aus Art. 38 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG gebietet, dass alle wesentlichen Schritte der Wahl öffentlicher Überprüfbarkeit unterliegen, soweit nicht andere verfassungsrechtliche Belange eine Ausnahme rechtfertigen.
- 2. Beim Einsatz elektronischer Wahlgeräte müssen die wesentlichen Schritte der Wahlhandlung und der Ergebnisermittlung vom Bürger zuverlässig und ohne besondere Sachkenntnis überprüft werden können.
Konkret bezieht sich das Bundesverfassungsgericht auf die Bundeswahl-geräteverordnung und erklärte diese wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit als verfassungswidrig. Das BVerfG urteilte ebenso, dass „die Verpflichtung von Legislative und Exekutive, dafür zur sorgen, dass das Wahlverfahren verfassungsgemäß gestaltet und ordnungsgemäß durchgeführt wird“, [12] nicht ausreicht. Nur wenn sich die Wählerinnen und Wähler zuverlässig selbst von der Rechtmäßigkeit des Ergebnisses überzeugen können, kann ein Vertrauen in das Wahlergebnis entstehen. Im Urteil ist ebenso vermerkt, dass „jeder Bürger [..] die zentralen Schritte der Wahl ohne besondere technische Vorkenntnisse zuverlässig nachvollziehen und verstehen [..] können [muss]“.[13] Allerdings muss nicht jeder einzelne Schritt auch öffentlich stattfinden. Dabei ist beispielsweise die Tätigkeit des Wahlleiters oder der Wahlleiterin gemeint.
Dem Argument des Beschwerdeführers, dass durch die Manipulation eines Geräts direkt hunderte oder tausende Stimmen betroffen seien können, wurde entsprochen. Der „relativ geringe Aufwand“ könne eine „große Wirkung“ erzielen. Das Bundesverfassungsgericht fordert ebenso, dass Stimmen nicht ausschließlich elektronisch abgelegt werden dürfen. Es ist somit nicht zulässig, die Stimmabgaben ausschließlich elektronisch zu speichern, da eine Überprüfung der Stimmabgabe durch die Wählerin bzw. den Wähler nicht möglich sei. Die Nachvollziehbarkeit der Wahl ist wichtiger als der Ausschluss versehentlich ungültiger Stimmzettel oder der schnellen Berechnung des Ergebnisses.
Das Bundesverfassungsgericht stellt fest, dass nicht ausgeschlossen sei, dass es bei der Bundestagswahl 2005 auch zu Bedienfehlern gekommen sein könnte. So sei die „Ungültig“-Taste u. U. missverständlich zu verstehen: Es lässt sich dadurch die abgegebene Stimme absichtlich ungültig machen und nicht ein Eingabefehler korrigieren.
Dem Argument des Bundesministeriums des Innern, schnelle Wahlergebnisse seien wichtiger als der Grundsatz der Öffentlichkeit, wurde in dem Urteil widersprochen.
Der Forderung nach Neuwahlen in den entsprechenden Wahlbezirken wurde nicht stattgegeben, besonders mit Bezug auf den Bestandsschutz der Volksvertretung.
8 Fazit
Bei der Bundestagswahl 2009 wurden keine Wahlcomputer eingesetzt. Auch bei kommenden Europa- und Bundestagswahlen werden vorerst keine vergleichbaren Geräte zu finden sein. Da die Bundeswahlgeräteverordnung für verfassungswidrig erklärt wurde, ist abzuwarten, ob eine Neufassung erstellt und verabschiedet wird. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat den Einsatz eines digitalen Wahlstifts oder Scanner verschiedener Arten nicht untersagt, da dadurch der Wählerwille in Papierform weiterhin erhalten bleibt. Es ergibt sich aber dennoch ein Dilemma: Bei 100% Nachzählung lohnt sich ein Computer nicht – sollten allerdings nicht alle Stimmen nachgezählt werden, sind Manipulationen möglich.
9 Quellen
- Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, u. a. Internet: http://www.bundestag.de/dokumente/rechtsgrundlagen/grundgesetz/gg_03.html
- Mann, Thomas und Püttner, Günter: Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis. Grundlagen und Kommunalverfassung. 3. Auflage. Berlin: Springer Verlag, 2007.
- Deutscher Bundestag: Allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim. Die Wahlgrundsätze, 2009. Internet: http://www.bundestag.de/btg_wahl/wahlinfos/grundsaetze/index.jsp
- Deutscher Bundestag: Wahlleiter. Internet: http://www.bundestag.de/service/glossar/W/wahlleiter.html
- Fehndrich, Martin: Personalisierte Verhältniswahl. Wahlrechtslexikon, 2001. Internet: http://www.wahlrecht.de/lexikon/personalisierte.html
- Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg: Wie wird gewählt? Das kommunale Wahlsystem in Baden-Württemberg, 2011. Internet: http://www.kommunalwahl-bw.de/wie_wird_gewaehlt_kommunalwahl.html
- Bundesverfassungsgericht: Urteil des zweiten Senats vom 3. März 2009 (2 BvC 3/07, 2 BvC 4/07), 2009. Internet: http://www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/cs20090303_2bvc000307.html
- Chaos Computer Club Berlin e.V.: Wahlcomputer. Wiki, 29. Oktober 2009. Internet: https://berlin.ccc.de/wiki/Wahlcomputer
- Chaos Computer Club Berlin e.V.: Wahlcomputer: Einsatz in Deutschland. Wiki, 3. Oktober 2008. Internet: https://berlin.ccc.de/wiki/Wahlcomputer:_Einsatz_in_Deutschland
- Bundeswahlgeräteverordnung, u. a. Internet:
http://www.gesetze-im-internet.de/bwahlgv/ - Wikipedia – Die freie Enzyklopädie: Bundeswahlgeräteverordnung, 22. November 2010. Internet: http://de.wikipedia.org/wiki/Bundeswahlger%C3%A4teverordnung
- Möller, Frank: Bundestagswahl: Hochrechnung und Wahlergebnisse 2009, 27. September 2009. Internet:
http://www.topnews.de/bundestagswahl-hochrechnung-und-wahl-ergebnisse-2009-374874 - Sietmann, Richard: „Hauptsache das Ergebnis ist richtig“. Heise Online, 2008. Internet: http://www.heise.de/ct/artikel/Hauptsache-das-Ergebnis-ist-richtig-291792.html
- Wikipedia – Die freie Enzyklopädie: Wahlgerät, 14. März 2011. Internet: http://de.wikipedia.org/wiki/Wahlger%C3%A4t
- Wiesner, Ulrich: Beschreibung der eingesetzten Wahlcomputer. Internet: http://ulrichwiesner.de/wp/B17_beschreibung_nedap_esd.pdf
- Physikalisch-Technische-Bundesanstalt: Baumusterprüfung eines Wahlgerätes. Prüfbericht, 24. Oktober 2007. Internet: http://www.wahlrecht.de/doku/doku/20071024_ptb-8.51-pb-004.06.pdf
- Hipp, Dietmar: „Sogar Handys sind besser vor Manipulationen geschützt“. Verfassungsbeschwerde gegen Wahlcomputer. SPIEGEL ONLINE, 28. Oktober 2008. Internet: http://www.spiegel.de/netzwelt/tech/0,1518,586890,00.html
- Bieber, Christoph: Die Debatte um Wahlmaschinen. Bundeszentrale für politische Bildung, 19. August 2009. Internet:
http://www.bpb.de/popup/popup_druckversion.html?guid=VWRIEB. Abgerufen am 22.07.2001.
[1] Unter dem bürgerlichen Ehrenrecht versteht man die Möglichkeit aktiv zu wählen bzw. gewählt zu werden. Dieses Recht kann gerichtlich aberkannt werden. Praktisch wird dies jedoch nur äußerst selten getan (vgl. „Handbuch der kommunalen Wissenschaft und Praxis“, a. a. O., Seite 401).
[2] Vorläufige Ergebnisse sind bereits nach einigen Tagen zu erwarten, vgl. Website der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, a. a. O.
[3] Prognose von infratest/dimap, Datenbasis entnommen aus „Bundestagswahl: Hochrechnung und Wahl-Ergebnisse 2009“.
[4] Vgl. Die Debatte um Wahlmaschinen. Bundeszentrale für politische Bildung, a. a. O.
[6] Die Angabe entstammt der Wikipedia („Wahlgerät“), allerdings ohne Quellennachweis.
[7] vgl. Prüfbericht der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt.
[8] Siehe dazu „Sogar Handys sind besser vor Manipulationen geschützt“.
[9] Siehe Urteil des BVerfG, Absatz 85.
[10] Argumente entnommen aus dem Urteil des BVerfG, Absatz 49 ff.
[11] Siehe Urteil des BVerfG, Absatz 59.
[12] Siehe Urteil des BVerfG, Absatz 108.
[13] siehe Urteil des BVerfG, Absatz 109.