Digitalisierung gestalten: Konkrete politische Anforderungen an Arbeit, Wirtschaft und Bildung (Policy Brief)
In einem gemeinsamen Policy Brief stellen D64 und das Progressive Zentrum konkrete politische Handlungsempfehlungen auf, um die Digitalisierung unserer Lebensumwelt positiv zu gestalten. Unterteilt in die Bereiche Arbeit, Wirtschaft und Bildung werden Wege aufgezeigt, wie die fortschreitende Vernetzung als Chance für alle Menschen genutzt werden soll.
Digitalpolitik ist Gesellschaftspolitik – dieses Mantra, das gar nicht häufig genug wiederholt werden kann, stellt die Bedeutung des politischen Umgangs mit der Digitalisierung klar. War das 19. Jahrhundert das Jahrhundert der Industrialisierung, das 20. Jahrhundert das der Globalisierung, so wird es in den kommenden Jahrzehnten hauptsächlich um die Digitalisierung gehen. Wir haben uns in dem Policy Brief auf die drei zentralen Themenfelder Arbeit, Wirtschaft und Bildung konzentriert, um dort einige Kernforderungen aufzustellen, die die digitale Zukunft positiv gestalten sollen.
Arbeit: Von der Arbeitnehmerpartei zur Partei der Arbeitenden
Die Sozialdemokratie kämpft seit über 150 Jahren für die Belange der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dieser Fokus muss im 21. Jahrhundert erweitert werden: Es geht um alle Arbeitenden! Denn: War es früher die Arbeitnehmerschaft, die teilweise prekär beschäftigt war, so gibt es heute und in Zukunft beispielsweise Solo-Selbstständige, die von den sozialen Sicherungssystemen nicht erfasst werden und eben jene Hilfe benötigen. Mehr denn je ist also die gesamte Absicherung aller Arbeitenden das Ziel einer modernen solidarischen Arbeitspolitik. Hier müssen auch Auftraggeber von Solo-Selbständigen mit einbezogen werden, die paritätisch an den Sozialversicherungskosten beteiligt werden sollten. Ein Vorbild könnte die Künstlersozialkasse sein.
Wir benötigen ebenso ein Umdenken bei der Anwesenheitskultur. Während die 35- bzw. 40-Stunden Woche ein Sinnbild für Arbeitskultur sind, verändern sich die Anforderungen an die Arbeitenden im 21. Jahrhundert fundamental. Dabei gilt es vor allem, die Arbeitenden zu schützen und nicht nur den Achtstunden-Tag als Norm anzuerkennen. Ein „Recht auf Nichterreichbarkeit“ sind Symbolpolitik und greifen zu kurz.
Wirtschaft: Gründungen erleichtern, Netzneutralität erhalten
Die europäische Aufweichung der Netzneutralität durch die Einführung von sog. Spezialdiensten ist eine grundfalsche Ausrichtung mit Bezug zum Ausbau der digitalen Infrastruktur. Bei dem Wort „Spezialdienste“ handelt es sich um technisch unsinnige, praktisch nicht notwendige Cash-Cows der Telekommunikationslobby. Fehlende Netzneutralität verhindert die Einführung von innovativen Internetdiensten und bevorteilt bestehende große und finanzstarke Player überproportional. Hier bedarf es einer dringenden politischen Nachjustierung.
Ebenso müssen Gründungen drastisch vereinfacht werden. Möglich wäre z. B. die Einführung eines Startup-Quotienten, der Ausbau des Gründungszuschuss (der nicht mehr von der Arbeitslosigkeit abhängt), Anpassungen bei öffentlichen Ausschreibungen, um auch Startups die Teilnahme zu ermöglichen, sowie die Stärkung von Crowdfunding und Crowdinvesting.
Bildung: Ohne erhebliche Modernisierung droht digitaler Analphabetismus
Wohl kein anderes Politikfeld ist derart konservativ wie die Bildungspolitik. Schulinhalte und auch die Art der Vermittlung heute unterscheiden sich kaum von dem Schulwesen der 1990er Jahre. Ob die fortschreitende Digitalisierung unserer Lebenswelt zur Utopie oder Dystopie gerät, hängt maßgeblich von den Entscheidungen in der Bildungspolitik ab. Digitale Inhalte müssen in allen Schulfächern festgeschrieben werden, ebenso bedarf es einem Pflichtfach Informatik. Es darf nicht sein, dass 99% der Bevölkerung nicht ansatzweise versteht, wie die digitale Lebensumwelt funktioniert (Stichwort Internet der Dinge). Kinder und Jugendliche müssen das Internet und die Digitalisierung als mächtiges Werkzeug verstehen und nutzbar machen können.
Auch die Lehrmittel benötigen ein Update: Rechtliche Rahmenbedingungen müssen die Einführung von Open Educational Resources ermöglichen.
Digitalpolitik ist Gesellschaftspolitik – und muss gestaltet werden.
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(Autoren des Policy Briefs: Laura-Kristine Krause, Nico Lumma, Sebastian Reichel, Philipp Sälhoff, Dominic Schwickert und Henning Tillmann)