Die SPD will die digitale, solidarische Gesellschaft
Veröffentlicht in der „FIfF Kommunikation“ Printausgabe 2/2010.
Gute Netzpolitik ist notwendig, aber längst nicht ausreichend. Der Begriff der Netzpolitik bezieht sich hauptsächlich, zumindest von den meisten so verstanden, auf den Kampf für mehr Datenschutz im Internet und die Förderung freier Inhalte. Was darüber hinausgeht mag vielleicht in Teilen der Blogosphäre angesprochen werden; ein breiter gesellschaftlicher Dialog findet jedoch nicht statt. Dieser ist aber dringend nötig! Keine Partei hat einen Gesamtentwurf für die Digitale Gesellschaft, die teilweise parallel, manchmal jedoch auch supplementär, existiert. Menschheitsgeschichtlich betrachtet ist die fortlaufende Vernetzung mit der Einführung des Buchsdrucks vor einigen Jahrhunderten vergleichbar.
Konnte man konkrete Ansätze der Netzpolitik der SPD bis 2005 zwar nicht als revolutionär, aber immerhin als progressiv beschreiben, so produzierte die Große Koalition doch viele enttäuschte Gesichter innerhalb der Netzgesellschaft. Die zwei Schlagwörter Netzsperren und Online-Durchsuchungen reichen bereits aus, um die (Online-)Popularität der SPD in den vergangenen Jahren aufzuzeigen. Vergessen darf man dabei aber nicht, dass es sich bei der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands weiterhin um eine Volkspartei handelt, deren Mitglieder, so wie der Gesamtschnitt aller Deutschen, das Internet vermutlich hauptsächlich zum regelmäßigen Abruf von E-Mails nutzt.
Nach der netzpolitischen Tiefsohle der vergangenen Jahre haben sich nach der Bundestagwahl einige netzpolitische Basisinitiativen in vielen Landesverbänden gegründet. Der Berliner „Netzpolitik Stammtisch der SPD“ wird je nach Termin von 30 bis 60 Personen besucht, der Landesverband Baden-Württemberg plant sogar einen eigenen Landesparteitag über Themen der Digitalen Gesellschaft. Auch die Bundes-SPD hat aufgeholt: Anfang des Jahres 2010 konstituierte sich der Gesprächskreis „Netzpolitik und Digitale Gesellschaft“ des SPD-Parteivorstands, der von dem Sprecher der SPD-Linken Björn Böhning geleitet wird und dem Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft, der eigenen Partei und weiteren Organisationen angehören. Bekannte Namen sind Sascha Lobo, Alvar Freude (AK Zensur), Thorsten Schäfer-Gümbel (Landesvorsitzender SPD Hessen), Brigitte Zypries MdB (Bundesministerin der Justiz a.D.), Lars Klingbeil MdB und auch Dr. Jan-Hinrik Schmidt (Hans-Bredow-Institut). Vier Mitglieder des Gesprächskreises wurden zusätzlich online durch die SPD-Netzbasis gewählt.
Der Gesprächskreis hat sich dabei folgendes Ziel gesetzt: In den nächsten Monaten soll für einen der kommenden Parteitage der SPD ein netzpolitisches Grundsatzpapier geschrieben werden. Dabei sollen nicht nur einzelne und tagesaktuelle Aspekte angesprochen werden, sondern im Sinne der sozialdemokratischen Tradition ein gesamtgesellschaftlicher Diskurs darüber geführt werden, welche Auswirkungen die Vernetzung auf die Menschen hat. Was sind politische Gestaltungsmöglichkeiten? Wie kann der Staat nicht nur selbst Datenschutz ernst nehmen, sich außerdem für den Datenschutz seiner Bürgerinnen und Bürger einsetzen? Welche Auswirkungen hat die Vernetzung auf die Arbeitsgesellschaft? Wie wichtig ist Medienkompetenz in der Schulausbildung? Ein zentraler Punkt für konkrete linke Politik ist die Umsetzung von Chancengleichheit: Wie kann die digitale Spaltung überwunden werden?
Der Gesprächskreis wird dabei relativ offen sein: Nach jeder Sitzung wird unter netzpolitik.vorwaerts.de ein ausführliches Protokoll veröffentlicht, bestimmte Termine sollen per Stream online verfügbar sein und per Twitter (oder auch „klassisch“ per E-Mail) soll jedes SPD-Mitglied Themenvorschläge und Ideen einbringen können.
Dass eine ausführliche Debatte in allen Parteien notwendig ist, zeigt auch die jüngste Debatte über die Novellierung des Jugendmedienschutzstaatsvertrags (JMStV). Die Unsinnigkeit der Anwendung von alten Prinzipien auf „neue“ Medienformen (vgl. Altersklassifikation von Website) zeigt die Hilflosigkeit in diesem Bereich.
So sind die Veränderungen der letzten Jahre aber nicht für jeden durchaus überaus positiv. Vielfach wird die Diskussionskultur kritisiert, die sich (auch getrieben durch klassische Massenmedien) nur noch auf Aktualität und Schnelle konzentriert, nicht aber mehr durch dialektische Tiefe auszeichnet. Auch Skepsis gegenüber der Kommunikationsflut (vgl. „Payback“ von Frank Schirrmacher) muss ernst genommen werden; Politik muss den Bürgerinnen und Bürgern den Übergang in die vernetzte Informationsgesellschaft erleichtern.
Dabei müssen alle Seiten viel lernen. Ein Paradebeispiel dieses Konflikts ließ sich bei der häufig zitierten Auseinandersetzung zum Zugangserschwerungsgesetz 2009 („Zensursula“) erkennen. Die hauptsächlich junge Generation warf der Offlinegeneration vor, „keine Ahnung“ vom Web zu haben, letztere fühlten sich mit ihren Sorgen der unkontrollierten Kraft des Internets nicht ernst genommen. Glücklicherweise besteht nun ein recht großer innerparteilicher Konsens, dass das erwähnte Gesetz technisch unsinnig und bei der Bekämpfung von Kinderpornographie nutzlos ist. Dies ist und bleibt die große Aufgabe der linken Volkspartei: Diskutieren, Streiten und dann schließlich zu einem Ergebnis gelangen, das die Gesamtgesellschaft im Auge behält. Der neue Gesprächskreis des SPD-Parteivorstands wird die Partei dabei unterstützen. Andere, kleinere Parteien, die hauptsächlich Interessensgruppen vertreten, mögen manchmal schneller sein, aber den oben beschriebenen Weg wird die SPD (zum Glück!) auch knapp 150 Jahre nach ihrer Gründung unbeirrt weiter gehen, um das große Ganze im Blick zu behalten – auch Twitter wird daran nichts ändern